Die Kuh reiste wohl mit Interrailticket durch die Republik
Die Kuh reiste wohl mit Interrailticket durch die Republik
Von Andreas Klamm
Kreis Ludwigshafen. – Ausgerissene Ohrmarken, handgeschriebene Ohrmarken, Messing-Ohrmarken, die schon lange keine Gültigkeit mehr haben; vermeintliche tote Kühe, die auf der Weide grasen und ein Rind, das laut Begleitpapieren noch lebt, aber wieder zum Leben erweckt werden muss, da es schon geschlachtet ist – das sind einige von vielen Merkwürdigkeiten, die gestern bei einer Inspektion des Kreisveterinäramtes und der Unteren Kreisbehörde auf dem Hof eines Kleinbauers im Landkreis zu Tage traten.
Es kommt noch schlimmer: Kuh Rebecca mit der Nummer DE 06 /610 /0000 (von der Red. geändert) ist offenbar mit einem Interrail-Ticket durch Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Baden-Württemberg bundesweit durch die Republik gereist, ehe sie geschlachtet wurde, kritisiert Kreis-Veterinär-Arzt Dr. Stephan Zips mit besorgter Mine. Das belege der Lebenslauf des Tieres. Irgendwo habe das Rind zudem 14 Tage in einem unbekannten Stall gelebt, wofür keine Nachweise vorhanden sind. Vom Gesetz her ein Unding.
Auffällig viele mysteriöse, kuriose und sehr seltsame Zwischenfälle bei Lebensläufen von Rindern, die es so gar nicht geben könne ermittelten die Kontrolleure bei dem Viehhändler, von dem die Bauernfamilie gutgläubig viele Rinder vor eineinhalb Jahren gekauft hat. Wir waren damals fast soweit, aufzugeben, erzählt die Bauersfrau. Deshalb habe die Familie nahezu ihren ganzen Bestand verkauft. Ihr Mann hänge aber am Hof und konnte sich dann doch nicht entscheiden, seinen Nebenerwerbsbetrieb zu schließen.
Jetzt haben sie eine traurige Gewissheit: 80 bis 90 Prozent der Papiere und Ohrmarken stimmen nicht, stellt Zips bei der Prüfung besorgt fest. Kein Einzelfall. Wenn es um Fahrzeugscheine von Autos ginge, würden sie diese nicht kaufen, sagt er der Frau. Das könne kein Zufall mehr sein, führte er weiter aus. Noch ein Hammer: Plötzlich taucht eine Registriernummer auf, die keinen Sinn mehr ergibt. Und: Ein sechsjähriges Rind, muss wohl eine Verjüngungskur hinter sich haben?, fragen die Kontrolleure. In den Papieren ist die Kuh drei Jahre alt.
Pirmin Müller, Landwirtschaftsamtsrat und Agrar-Ingenieur, sowie Dr. Zips sind ratlos. Was sollen wir jetzt machen?, beraten sie. Prämienmäßig sieht es ganz schlecht aus, eröffnet Müller der Landwirtin. Es hätte besser laufen können, bemerkte er weiter. Die Frau wollte gleich gestern Abend beim Händler nachfragen, was los ist. Die Bauernfamilie erhält für viele gemeldete Mutter-Kühe und Schlachttiere nun keine der beantragten Prämien mehr. Im Klartext: Auf die Familie kommen schwere finanzielle Einbußen zu, die das Aus für den Hof bedeuten könnten. Der Familie sei keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen, meint Müller. Jetzt wird die zuständige Kreisbehörde eingeschaltet, die Lücken und offene Fragen beim Viehhändler klären muss.
Plötzlich taucht Milchnuckel auf
Es gibt Betriebe, bei denen zuviel nicht stimmt, sagt Zips. Es wäre gut, wenn es in der Bundesrepublik nur eine Ohrmarke mit Papieren von der Geburt bis zum Tod des Schlachttieres gebe. Die Schlachtbetriebe ordneten allerdings den Schlachttieren nur eine eigene Identitätsnummer zu. Viele Bauern seien einfach überfordert und kämen mit den ständigen Änderungen nicht klar, ergänzt Müller. Mit neuen Ohrmarken, die mit einem Barcode versehen sind, lasse sich jetzt in ganz Deutschland Geburtsdatum, Herkunft, Zugangs- und Abgangs-Daten sowie Alter der Tiere bestimmen. Allerdings nicht, wenn die Kühe umgemarkt werden, wie auf dem betroffenen Hof entdeckt wurde.
Vor Ort stoßen die Kontrolleure auf ausgemerkelte und ältere Rinder, zwischen denen einige Kälber umherspringen. Faulendes, nasses Stroh liegt auf der Koppel. Futtermittel füttern wir nicht zu, versichert die Bäuerin. Zips entdeckt einen Milchnuckel, aber ohne Aufbaufutter, Abfall-Karotten die ans Vieh verfüttert werden und in Futtermittelsäcken ist nur Schrot und Heu verstaut. Seltsam bleibt auf jeden Fall: Für die 15 Kühe und sechs Bullen gibt es zu wenig Heu auf dem 21-Hektar-Weideland.
Erst-Veröffentlichung: Speyerer Tagespost, 12. Januar 2001
Zweit-Veröffentlichung: British Newsflash Magazine, August 2007
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